was davon noch übrig ist
Zukunft des Fernsehens

was davon noch übrig ist
Zukunft des Fernsehens

Vergangene Woche fand das jährliche Production Technology Seminar der EBU in Genf statt. Es bietet einen Einblick in die Zukunft des Fernsehens, zeigt welche Features wir als Zuschauer vielleicht geniessen werden können und mit was die öffentlich-rechtlichen Sender zu kämpfen haben. Eine persönliche Auslegeordnung über den Zustand der Branche.

Immer im Januar treffen sich die Cheftechniker der europäischen TV-Anstalten in Genf am Technologieseminar EBU, der European Broadcasting Union. Dies ist der inoffizielle erste Termin des Jahres für das Who-is-Who der Fernsehwelt - also der technischen. Hier wird rege über Standards diskutiert, Projekte vorgestellt, Forschungsprojekte präsentiert. Rund 200 Leute haben in diesem Jahr den Weg nach Genf gefunden und lauschen während drei Tagen den Rednern, die im Halbstundentakt ausgetauscht werden.
Im Vorraum des Auditoriums haben sich ein paar ausgewählte Firmen aufgereiht. Ausgestattet mit Kaffee und Croissant schlendert man von einem Bildschirm zum anderen und philosophiert dabei mit Kolleginnen und Kollegen über das Gesehene, bevor es mit der ersten Präsentation im Saal losgeht.

Object Based Broadcasting

Trendige Kraftausdrücke bestimmen dieses Jahr die Vorträge. Aufgefallen ist das von der BBC vorgestellte Konzept des "Object Based Broadcasting". Hervorgegangen aus der neuen R&D Abteilung des Britischen Nationalfernsehsenders, will man auf dieser Basis einen Mehrwert (wie immer bei solchen Ansätzen) den Zuschauern bieten.
Um was geht es: Neben dem herkömmlichen Fernsehsignal (oder Stream), soll neu auch ein Metadaten-Stream zur Verfügung stehen. Der Zuschauer kann sich, etwa bei einem klassischen Konzert, nur die erste Geige anhören und sich über den Solisten informieren, der Rest des Orchesters tritt in den Hintergrund. In einem Radrennen erscheinen beim Anwählen eines Fahrers die Biodaten und die Position der Teamkameraden, Statistiken, usw. Dies geschieht live und lässt sich über das TV-Bild einblenden.
Der Zuschauer kann sich also die Informationen ins Bild holen, für die er sich interessiert. Eigentlich ist das wie Second Screen - nur auf demselben Screen. Der Unterschied ist, dass die Daten, welche direkt aus der Produktion kommen, ebenfalls aufbereitet und zur Sendung bereitgestellt werden.

VR 360

360° Video für die Virtual Reality Brille - ein Hingucker. In diesem Sektor scheint die Game Industrie und die TV-Welt zu verschmelzen. Einige R&D Abteilungen, zum Beispiel diejenigen von Arte und ZDF, produzieren sendefähigen Content und ergründen das Storytelling mit diesem neuen Bildformat. Gedreht wird mit Google-Streetview ähnlichen Kameras. Mehrere, im Kreis angeordnete Kameras, filmen nahtlos 360°. Die Bilder werden danach mit einer 'Stitching Software' zusammengefügt, farblich angepasst und gemastert. Um gute Qualität beim Endprodukt zu erzielen, muss heute noch viel Zeit eingeplant werden.

Einzig die Bemerkung von Sky, dass die Kamera in Lesbos an der Küste aufgestellt wurde, um die Flüchtlingsboote bei der Ankunft zu Filmen, liess das versammelte Publikum kurz aufhorchen. Gemäss Referent hätte dies den Zuschauern einen unverfälschten Eindruck der Situation vor Ort vermittelt und eigne sich deshalb für News. Aber auch das Horror-Genre soll in Holland mit dieser Technologie bereits für Aufsehen gesorgt haben. Das Feedback sei durchwegs 'scary' gewesen.

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IMF

Interoperable Master Format, kurz IMF, soll das Problem der vielen (Sprach-) Versionen und Codecs pro Film eingrenzen. Eigentlich eine gute Idee, aber wohl nur für die grossen Hollywood-Studios interessant, weil sie mit 42 Sprachversionen pro Film (gemäss Disney) ein technisches Format suchen, welches die effiziente Archivierung der Filme ermöglicht. IMF, eine Weiterentwicklung des DCP Formats für Digital Cinema, speichert in nur einer Ordnerstruktur alle Daten von Bild, Ton bis hin zu Untertitel und Metadaten eines Films. Mit Hilfe einem entsprechenden Steuerungs-Befehl (einer XML-Datei), kann die gewünschte Fassung vom Film aus der Ordnerstruktur gelesen und abgespielt werden.

Berufsbilder, Produktion und Co.

Eine Vortragsreihe über die Neuorganisation von Nachrichtenredaktionen und den damit verbundenen Produktionsprozessen zeigt, dass auch hier der Wandel der Zeit schonungslos zuschlägt. Die klassische Arbeitsteilung von Journalisten und Cuttern schwindet. Vielmehr wird vielseitiges Können von den Mitarbeitern gefordert. Vor allem die südeuropäischen Länder holen sich junge Mitarbeiter in die Redaktionen, die recherchieren, schreiben, drehen, schneiden, mastern, color graden und bestenfalls gleich noch senden. Ein Ansatz, über den man nachdenken sollte, obwohl er fremd klingen mag. Das hat auch einige Zuhörer zum Nachfragen angeregt und endete in einer aktiven Diskussion.

Fazit

Neben weiteren Themen, zu UHD, HDR Production, IMF, VR, LUFS, MAM usw. entsteht der Eindruck, dass die gesamte Broadcastwelt am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angekommen ist. Die Bilder werden immer schärfer, kontrastreicher, hochauflösender. Die Zuschauer sind technisch überfordert und kaufen nicht jährlich einen neuen Fernseher, bzw. investieren lieber in Mobile Devices.
Der zentrale Punkt aller technischen Möglichkeiten bleibt die Story. Das tönt stark nach einer Floskel, wird aber durch das folgende Zitat von Brian Solis unterstrichen, denn letztendlich geht es um Aufmerksamkeit, die auch einen wirtschaftlichen Erfolg mit sich bringt.

"In the Digital Space, Attention is a Currency", Brian Solis

R&D und Innovations-Abteilungen in die Welt setzen, scheinen die Stichworte der Stunde auch bei den TV-Stationen zu sein. Irgendwie mithalten können mit der technologischen Entwicklung auf diesem Sektor, Innovationen am laufenden Band hervorbringen, sozusagen. Das ist übrigens nicht nur erstes Thema bei Fernsehanstalten, sondern auch bei den technischen Zulieferern.

Die grossen Herausforderungen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern liegen aufgrund der oben geschilderten Trends nur bedingt im technischen Bereich, vielmehr in der Firmenkultur, im Umgang mit raschen Veränderungen, in modularen Arbeitsprozessen, in der Anpassungsfähigkeit von Mitarbeitern und dem Management, welches die Zeichen der Zeit erkennen sollte.
Die neue, berufstätige Generation ist mit Video und Social Media aufgewachsen und hat keine Berührungsängste mit dem Medium. Das ist noch nicht überall angekommen und wird noch ein paar Jahre dauern. Auch darum, weil heutzutage diejenigen Führungspositionen inne haben, die sich kaum vorstellen können, das auch in einer anderen Form in einer Redaktion gearbeitet werden kann. Es war so, ist so, bleibt so. Nur der Druck vom wirtschaftlichen oder politischen Umfeld mag überhaupt zum Umdenken anregen. Dieser nimmt bekanntlich zu, besonders im öffentlich-rechtlichen Bereich.
Die zukünftigen Innovationen in der TV-Branche liegen wohl eher in der Organisation und im Miteinander, als in der Technik. Es ist an der Zeit ein entsprechendes Team ins Leben zu rufen, das sich diesen Themen annimmt.
Weiterführende Links zu den erwähnten Themen:

 

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